Frontal Nudity, ein Tabu?
von Peter Jobst.28.11.2012

Ilse Haiders riesige Skulptur, "Mr. Big", lockt den Besucher in eine Schau über nackte Männer: Die Themen sind breit gefächert: vom alten Ägypten, Auguste Rodin bis zu Fritz Wotruba (Torso).

Die Kuratoren schöpfen aus dem Vollen: Paul Cézanne, Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner mit nackt badenden Männern. Überraschung: Albrecht Dürers Ausflug in ein Männerbad.

Egon Schieles ängstliche Blicke auf sein nacktes Ich, Anton Koligs muskulöse Männer als Objekte verbotener Begierden, Richard Gerstls Selbstbespiegelungen. Fortsetzung folgt mit den Wiener Aktionisten (Günter Brus, Otto Muehl):

"Vive la France": Pierre & Gilles werfen mit ihrem Plakat mit nackten Fußballern einen frechen Blick auf deren Geschlecht, das ihre ethnische Herkunft (schwarz, Maghreb, weiß) widerspiegelt:

Das Plakat mitten in Wien garantiert Aufregung, der man mit roten Balken begegnet. Homosexualität wird in der Ausstellung nicht explizit erwähnt. Der Katalog geht jedoch differenziert auf den schwulen Hintergrund der Objekte ein:

Sammler, Fotografen, Galleristen, Kuratoren wissen: »Sex sells«: Geballte männliche Nacktheit von glatten Jünglingen bis zu vom Leben gezeichnete alten Männern: Memento Mori!

Im Focus steht der Körper des Mannes: beschmutzt, versehrt, schwach, faltig, begehrt, begehrend, verletzbar: Erektionen sind rar. Ausnahmen bestätigen die Regel: Thomas Ruff, Gelatins erregte Männer in den Bergen, Bruce Naumans "Marching Men":



Auch in Wien beeindruckt Katarzyna Kozyras Video-Collage aus dem  Gellert-Bad in Budapest: Nackte Männer kreisen um ihr Mann-Sein. Boris Mikailovs kleinformatige Fotos halten eine sexuelle Begegnung in armseliger Unterkunft fest.

Das klassische Schönheitsideal, mit dem ein Winkelmann sein homosexuelles Verlangen tarnt, wird heute von dem Künstlerduo Elmgreen & Dragset ironisiert: Statuen sind mit Unterwäsche bedeckt.

Gloedens + Plüschows Bilder gut gebauter Jungs, Sascha Schneiders muskulöse Männer, mit denen er Karl May illustriert, offensive Blicke von Jean Cocteau, David Hockney und Andy Warhol runden dieses Fest für (?) Männer ab.

Die Kunsthalle Wien (MUQUA) zeigt mit XTRAVAGANZA Leigh Bowerys Variationen zum Thema Mann, mit denen er auch die Mode (John Galliano; Alexander McQueen) beeinflusst, während die Albertina den "Körper als Protest" in Szene setzt.