Tradition & Avantgarde.
von Peter Jobst.0709.2012

In Warschau war vor dem 2. Weltkrieg jeder 3. Bürger jüdischer Herkunft: Von dieser blühenden Kultur war lange wenig zu spüren. Selbst im jiddischen Theater wird die Sprache kaum mehr gesprochen.

Dass Polen sich seiner Vergangenheit besinnt, zeigt auch die Resonanz auf das Singer-Festival 2012 (Leitung: Golda Tencer). Das jüdische Theater am Grzybowski-Platz ist ein idealer Ort für Workshops, Konzerte, Theater. Die Zusammenarbeit mit Kultusgemeinden, Kulturinstituten, Stiftungen trägt Früchte.

Läden, Cafés, Galerien, Flohmärkte, Open-Air-Konzerte in der benachbarten Prozna-Straße erinnern an die Blütezeit jüdischen Lebens. Ideale Kulisse für Konfrontationen, Traditionen, Innovationen. Das Próżna-Hoiz ist ein wunderbares Relikt aus vergangenen Tagen:



Traditionell sind Beginn und Finale: Das Musical Ach! Odessa – Mama feiert Liebe, Verrat, große Gefühle, Humor, Odessas Halbwelt, das Stück Tradition die Einheit von Text und Musik auf der Bühne.

Eine zentrale musikalische Rolle spielt der Pianist Matt Herskowitz mit klassischen Improvisationen, wie als Begleiter von Theresa Tova bei dem wunderbaren Chagall-Abend: «Bella. The Colour of Love«.

Große Theater-Abende mit nahtlosen Übergängen von Sprache, Klassik, Jazz Tango, Gospel, Latin: Das Sprechoratorium Juste le Temps de Faire les Bagages (Buch: Alix Landau-Brijatoff, Judith Magre, Valentine Varele) erschüttert die Zuhörer.

Die Avantgarde hat in der jüdischen Kultur eine lange Tradition: Diese greift Theatermacher Pawel Passini mit dem Buch des Glanzes (Kabbala: Sefer ha Zohar) auf. Referenz an Artaud, Grotowski, Kantor, Meyerhold, Strasberg.



Vibrierende Bühnen-Welten von Traum- und Trugbildern, Golems, Puppen, von Live-Musik und Film-Projektionen umrahmt. Furcht, Freude, Wahnsinn, Euphorie, Verzweiflung. Ein intensiver realer wie virtueller Dialog zwischen Gott und Mensch.



Veranstaltungen sind über die Stadt verteilt: Im Hydrozagadka Club (Praga) gastiert die Band Nifty's auf Einladung des österreichischen Kulturinstituts: Sie integrieren Wurzeln aus dem Shtetl voll Schmiss mit entfesselt unaufgeregtem Spiel. Ein weiterer Höhepunkt in einer musikalisch reichen Wochen.