Operette Andersrum
von Peter Jobst.23.08.2012.
Vorurteile begleiten die Operette: Heile Welt, Trost für frustrierte Biederfrauen, harmlos, verstaubt, altmodisch, verlogen, sentimental, albern: Allerdings füllen Operetten Stadttheater, Festspiele (Bad Ischl, Mörbisch).
Inszenierungen sind meist Lichtjahre entfernt von den anzüglich freizügigen Anfängen: Damals Treffpunkt von Adel, Bürger, Halbwelt, in der Darstellern aus der Unterschicht der Aufstieg zum Superstar gelingt.
Die Wissenschaft ignoriert (verdrängt?) lange dieses Phänomen. Erst jetzt wirft man einen differenzierten Blick auf Hintergründe: Eine Ausstellung in Wien und der informative Katalog setzen wichtige Zeichen. Kurator ist Kevin Clarke (Glitter and Be Gay).
Die Operette entsteht in Frankreich als Kritik am Kaiserreich. Die Zielgruppe dieses neuen Genres: Hetero- wie homosexuelle Lebemänner (Jeunesse Dorée), die von (fast) nackten Boys & Girls sexuell wie intellektuell stimuliert werden:
Man gibt sich in dieser Demimonde sozialkritisch, humorvoll, frivol: Die Stars sind Werbeträger für Luxus von Wien bis zum Broadway. Man verkauft Zeitgeist, Laszivität, Intellekt, Slapstick mit Walzer, Revuen, Jazz.
Für den Wandel der Operette zum Massenspektakel zahlt man einen hohen Preis: Die leichte Muse wird bieder, brav, behäbiger. In Berlin gelingt der Seiltanz zwischen Satire und Erotik besser als in Wien:
Selbstbewusst verführerische Diven wie Fritzi Massary setzten mit ihren Chansons Zeichen: Die Nazis aber versetzten diesem frech frivolen, multikulturellen Treiben den Todesstoß. Sie verjagen jüdische Stars.
Man propagiert die saubere Operette mit Ersatzwerken. Saison in Salzburg soll das Weiße Rössl ersetzen. Das jugendfreie neue deutsche Singspiel feiert Innigkeit, Sauberkeit, Heimat. Das singende tanzende Edelbordell geht unter (K. Clarke):
Was den Nazi nicht gelingt, vollendet die verlogene Nachkriegs-Ära: Klein-, Spieß- und Schildbürger übernehmen mit Nostalgie-Bädern in der guten alten Zeit das Ruder: Die Glanzzeit von Peter Alexander, Waltraud Haas, Anneliese Rothenberger, die als Publikumslieblinge unter ihren Möglichkeiten agieren
Die Ausstellung und der Sammelband über die wilde Welt der Operette sind ein guter Anfang, der einen Wandel der Sicht der Dinge verspricht.