Getanzter Schrei
von Peter Jobst.20.08.2012.
Im Mittelpunkt steht Bacons intensiv exzessive Liebe zu George Dyer. Bacon überrascht den Underdog-Boy bei einem Einbruch in seinem Atelier: Er liefert ihn jedoch nicht an die Polizei aus. Dyer wird sein Liebhaber + Modell.
Dyer inspiriert Bacon zu grandiosen Kunstwerken und erfüllt dessen Wünsche und Begierden. Auf Dauer ist Dyer dieser (nur sexuell!) dominanten Rolle nicht gewachsen, zumal ihn Bacons Freunde verachten. Eifersucht, Abstoßung, Zuneigung vergiften sein Leben: Dieses Schicksal teil er mit Männern von RW Fassbinder wie Armin Meier oder El Hedi Ben Salem.
Drogen, Alkohol, Alpträume: Dyer nimmt sich das Leben. Ein Schlag, den Bacon nie überwindet. In Kresniks Tanzarena trägt Ivo diesen Kampf mit voller Wucht aus: Schonungslos radikaler Ausdruckstanz.
Blut, Fleisch, Hassliebe, Exkrementen, Ekel, Schmerzen, Asthma, Angst, Erinnerung an Misshandlungen in der Kinheit. Figuralen Bilder setzen animalische Energien in Tanz um: Eine verstümmelt nackte Sphinx benützt ein Messer als Krücke.
Ein Papst mit goldenem Hut droht als gieriger Vampir: Bacons Hommage an ein berühmtes Bild von Velazquez. Ivo hängt von der Decke, mit zitternden Muskeln: lebenslanger Todeskampf. Die Musik von Paulo Chagas verdichtet die Atmosphäre und erinnert an frühere Choreografien.
Kresnik setzt Fragmente aus der Welt des Francis Bacon in 21 gewaltige Bilder um: Krieg, Alkohol, Glücksspiel, Schmerz, Exzesse, Ringen nach Luft, Sehnsucht nach Erlösung. Ivos bebender Brustkorb macht die geschundene Lunge und Seele fühlbar.
Im Gegensatz zu John Mayburys Film »Love Is The Devil« sucht der Tanz-Abend keinen biografischen Ansatz. Die Tänzer agieren mit roten Fußsohlen. Kresnik öffnet gnadenlos Abgründe der Seele: ein permanenter Albtraum.
Ein grandioser Abend mit harten Tanz-Sequenzen und faszinierenden Körper-Skulpturen: Grenzen gibt es Kresnik und Ivo keine. Zweifellos in Höhepunkt in dem Wiener-Tanzfestival, der auch manche Zuschauer überfordert.