Bauer mit Mann!
von Peter Jobst.02.01.2012
Der überzeugte Großstädter Martin Reichert (*1973) pendelt zwischen Berlin und der Mark Brandenburg, seit er mit dem Mann lebt, den er vor zehn Jahren im Darkroom einer Ost-Berliner Kneipe kennen gelernt hat.
Schwule Love Story mit Happy-End? Der taz-Journalist schildert sein Landleben aus urbaner Perspektive. In Berlin kommt er nicht zum Schlafen, weil immer was los ist. Auf dem Land muss er früh aus den Federn, weil immer was zu tun ist.
Ein Selbstversuch in deutscher Provinz als im Jahreszeiten-Rhythmus gegliederter Essayband: unterhaltsam, fundiert, pointiert. Mit Verklärungen wird aufräumt:
Reichert beklagt die nicht artgerechte "Mensch-Haltung" in der Stadt. Und auf dem Land? Mit feinnerviger Ironie enttarnt der wortgewandte Kolumnist die Naivität manch urbaner Bildungsbürger.
Bio-Produkte boomen in der Stadt, auf dem Land kauft man vom Discounter: Bauern verlieren Arbeit, Äcker, Höfe. Konzerne übernehmen das Land.
Reichert durchleuchtet viele Facetten: Popmusik, Homosexualität, Keramik, laute Autos, die durch die Dörfer rasen, Landgasthöff als (einzige) Orte der Begegnung für Männer, Fertighäusern, ehemalige LPGs.
Städter riskieren oft ihre materielle Existenz für den Rückzug in diese Wildnis! Trotz Ironie, polemisch verspielter Rhetorik spricht der Autor eine klare Sprache: Die Sehnsucht nach unberührter Natur bleibt Projektion. Das Land wird weiter entvölkert
Schwule Männer auf dem Land? Reicherts Nachbarn haben sich inzwischen daran gewöhnt, dass er als Wessi dort mit einem Ossi als schwules Paar lebt. Vorsicht ist dennoch ratsam: Die Uhren ticken dort anders.
Verlassenen Gegenden sind rechtsfreie Räume, die Polizei ist nur sporadisch präsent: Schwer haben es schwule Männer, die ihr Nest nie verlassen und sich ungeoutet in (Schein)Ehen flüchten. Was bleibt: Klappen, Rastplätze, Saunen, Gayromeo?
Emanzipierte Homosexuelle erobern sich das Land zurück, aus dem sie einst geflüchtet sind. Schwule Paare genießen fern ihrer Medien- und Reizüberfluteten Subkultur neue Zweisamkeit. Eine traditionell homophobe Zone als neues schwules Wochenend-Paradies?
Schwule Großstädter und Einheimische leben in unterschiedliche Welten. Reicherts Rat: Keine Angst, kein Huschen, selbstbewusst Tatsachen schaffen.