Schwule Sensibilität
von Peter Jobst, 04.12.2010
Deutsche Autoren haben ein Problem mit Homosexualität, anders im romanischen Raum, wo gerade Schriftsteller auf vorderster Front stehen.
Lassen sich Prüderie, Heuchelei und Angst, das Gesicht zu verlieren als Spätfolge des von Nazis verschärften Homosexuellen-Paragraphen (§ 175) erklären? Dagegen hat der Autor Hubert Fichte radikal angeschrieben.
Münchner Urgesteine (Sub, »Optimal Records«, Max&Milian) präsentierten zu Fichtes 75. Geburtstags eine Hommage mit Mario Fuhse, Joachim Helfer, Clemens Meyer und Wolf Wondratschek.
Wolf Wondratschek schildert wunderbar poetisch in dem Gedicht Danksagung an einen, der nicht mehr lebt die erste Begegnung mit Fichte, als dieser in eine gemütliche Orgie bei Zuhälter-Freund Wolli (Köhler) platzt.
Das Beschnuppern ist Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Hubert schwärmt von Männerkörpern und Schwänzen, die ihn in entlegene Winkel der Welt locken. Lust und Geilheit auf Männer ist Motor seines Schaffens.
Kinderdarsteller, Schafhirte, Autor, Ethnologe, Performer, Experte für Klatsch, Rituale, Synkretismus, Religionen, Kulte (Afrika, Favelas), Chronist der Subkulturen.
Der heute noch brennend aktuelle wie irritierende Seiltanz zwischen Kunst, Literatur, Magie und Wissenschaft dieses Mannes der Avantgarde verändert die Sicht von Literaten, Journalisten und Ethnologen.
Der Autodidakt Fichte ist öfter on the way als in Bibliotheken zu finden: Seine Texte werden zur Schule männlicher (Ge)Läufigkeit: Fremde Länder, verborgene Welten, Nutten, Stricher, Ledermänner, Subkulturen aller Art.
Ein Mann wie Fichte wäre undenkbar in dem brav langweiligen heutigen Literaturbetrieb, wo Autoren von einem Stipendium zum anderen purzeln, die nach Quoten politisch korrekt vergeben werden. Er war aus einem anderen Holz geschnitzt.